Praxis
Sabine Tewes
Ärztin
Systemische Einzel-, Paar- und
Familientherapie
Nicht weil es schwer ist,
wagen wir es nicht,
sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.
Familien in Ausnahmesituation
Als Ärztin und Familientherapeutin erreichen mich in meiner Etzhorner Praxis für Familientherapie in diesen Tagen viele Anfragen von verunsicherten Eltern. Sie fragen alle, wie sie in dieser Corona-Krisensituation mit ihren Kindern am besten umgehen sollen. Ich habe nun ein paar Gedanken formuliert, um Eltern Klarheit und innere Sicherheit darüber zu geben, was das Beste ist, was sie jetzt TUN können. Am 7.4.20 wird auch ein Artikel von mir dazu im Familienmagazin Oldenburg erscheinen. Wenn Sie mögen, nehmen Sie den folgenden Text gerne als Anregung und Impuls.
Liebe Eltern,
wir befinden uns in einer Krise, in einer Ausnahmesituation,
die wir so alle noch nicht erlebt haben. Das macht Angst und verunsichert.
Sowohl die Kinder als auch uns Erwachsene. Wie also damit umgehen?
Zunächst natürlich, indem wir uns verantwortungsbewusst an
die sinnvollen Vorgaben halten, alle Sozialkontakte außerhalb der Familie zu
vermeiden und die Hände regelmäßig und gründlich zu waschen.
Was machen wir aber mit unseren Gefühlen in dieser Zeit?
Wir nehmen sie an. Wir nehmen an, dass wir unsicher sind und
vielleicht auch Angst haben. Wenn unsere Kinder nun zu uns kommen mit ihren Sorgen,
Gedanken und Ängsten, ist es das Wichtigste, diese genauso anzunehmen und ernst
zu nehmen. Verständlich, wenn Sie Ihre Kinder beruhigen wollen. Oft neigen wir
Erwachsenen dann aber dazu, den Kindern zu sagen, sie müssen doch keine Angst
haben, alles werde schon gut. Doch damit tun wir den Kindern keinen Gefallen.
Was Kinder brauchen, ist das Gefühl, mit ihren Sorgen und
Ängsten ernstgenommen zu werden. Das Gefühl, es ist in Ordnung, wenn ich Angst
habe. Mama oder Papa hält das mit mir zusammen aus. Wenn Sie dem Kind
signalisieren, du brauchst doch keine Angst zu haben, in einer Situation, in
der sogar Sie selbst Angst haben, verunsichern Sie das Kind. Das Kind denkt,
mit mir ist etwas nicht in Ordnung, wenn ich etwas fühle und Mama sagt, das sei
Unsinn. Besser ist es also, sich offen den Fragen und Ängsten des Kindes zu
stellen. Es zu ermutigen, genau zu erzählen, was es denkt, was es fühlt, wovor
es Angst hat. Ein Kindergartenkind hat sicher andere Ängste als ein Schulkind. Oft
wissen wir Erwachsenen gar nicht genau, was ein Kind beunruhigt. Wenn wir unser
Kind ermutigen, über seine Sorgen und Gedanken ausführlich zu erzählen, fühlt
es sich verstanden und angenommen. Und das ist eigentlich schon das Wichtigste,
was wir für ein Kind in einer Krise tun können! Und wenn wir ihm dann noch
signalisieren, egal was passiert, ich bin da, haben wir schon sehr viel getan.
In einer Krise nicht alleine sein mit seinen Gefühlen ist das Beste was einem Kind und auch jedem Erwachsenen passieren kann!
Gut und richtig ist es auch, dem Kind (altersgerecht und angemessen) offen mitzuteilen, dass Sie selber auch Ängste haben und dass das okay ist.
Ängste gehören zum Leben dazu. Wichtig ist, sich diesen Ängsten nicht hilflos und ohnmächtig ausgeliefert zu fühlen.
Deshalb hilft es manchmal, etwas zu tun, was auf den ersten
Blick paradox erscheint. Wir nennen das "Worst case szenario". Das heißt, Sie ermutigen
das Kind zu erzählen, was (für das Kind persönlich) das Schlimmste wäre, was
passieren könnte. Und dann überlegen Sie gemeinsam mit ihm, was Sie dann tun
werden. Wenn das Kind ein Gefühl dafür bekommt, dass es auch im
allerschlimmsten Fall Handlungsmöglichkeiten und Lösungen geben wird, gibt ihm
das Sicherheit.
Nachdem - aber bitte wirklich erst NACHDEM Sie den Sorgen
und Ängsten diesen Raum gegeben haben, lenken Sie die Aufmerksamkeit zurück ins
Hier und Jetzt.
Natürlich leiden wir und auch unsere Kinder im Moment unter
den tatsächlichen Einschränkungen, die diese Situation mit sich bringt. Die
Kinder dürfen nicht in die Schule und sie dürfen ihre Freunde nicht zum Spielen
treffen. Die Situation zu Hause ist vielleicht angespannt, weil alle plötzlich
mehr Zeit miteinander verbringen und dadurch natürlich auch mehr Konflikte
entstehen können. Doch anstatt sich darüber zu ärgern, was alles nicht wie
gewohnt funktioniert, wie wäre es, mit den Kindern zusammen folgendes Familienprojekt
ins Leben zu rufen:
Was ist JETZT in diesem Moment gut und möglich?
Wir sind gesund. Wir haben ein schönes Zuhause. Wir haben
genug zu essen. Wir sind zusammen. Wir sind nicht alleine. Wir haben eine
Familie. Wir haben Bücher und Spielzeug. Es gibt Computer und Telefone. Wir
können an die frische Luft gehen und im Garten spielen .
Schulen Sie den Blick der Kinder für das, was JETZT gut ist.
Vielleicht setzen Sie sich zusammen, nehmen ein großes Blatt
Papier und jeder malt oder schreibt auf, was ihm dazu alles einfällt. So
entsteht ein schönes Bild und damit automatisch ein Gefühl von Dankbarkeit.
Gerade eine Krise ist eine gute Gelegenheit für uns, Dankbarkeit zu erleben und
zu fördern. Vielleicht führen Sie innerhalb der Familie ein Dankbarkeitsritual
ein. Jeden Abend kommt die ganze Familie zusammen und jeder sagt etwas, wofür
er heute dankbar war.
Dankbarkeit stärkt das Immunsystem!
Und darum geht es ja jetzt. Viele werden mit dem Virus in
Kontakt kommen, das können wir nicht verhindern. Aber für unsere eigene
Immunabwehr können wir etwas tun:
Unsere Aufmerksamkeit auf das lenken, was JETZT gut ist, was
uns auch in dieser Krisenzeit alles möglich ist und wofür wir dankbar sein
können.
Lassen Sie uns den Fokus nicht auf das legen, was gerade
nicht möglich ist, sondern die Chancen nutzen, die diese Zeit auch mit sich
bringt.
Wir können Zeit als Familie verbringen, miteinander sprechen
und spielen. Gemeinsam etwas Gesundes kochen. Zusammen einen Waldspaziergang
machen.
Überlegen Sie gemeinsam, wie und womit Sie diese Zeit jetzt
zusammen verbringen wollen. Was hatten Sie immer schon einmal vor? Seien Sie
gemeinsam kreativ. Sammeln Sie Ideen. Endlich mal zusammen den Keller oder das
Kinderzimmer aufräumen? Das Telefon nehmen und die Großeltern anrufen? Eine
Videobotschaft aufnehmen und verschicken? Ein neues Kuchenrezept ausprobieren? Auch
das lässt sich gut als Collage auf einem Blatt Papier festhalten. Alles, was
Freude macht, ist gut!
Freude stärkt das Immunsystem!
Geben Sie Ihren Kindern das Gefühl, dass wir alle aktiv etwas TUN können, um unser Immunsystem zu stärken. Das fördert das Vertrauen der Kinder, dass unser Körper auch eine Infektion gut überstehen kann! Und es fördert das sichere Gefühl: Ich bin nicht allein. Wir zusammen als Familie gehen durch diese besondere Zeit.
Herzliche Grüße und bleiben Sie gesund
Sabine Tewes